!■•"■"■' Pili ml «HP™ 1 feüfo wwi'jü} ■ Hniwymb&WU mtherapie. ii M I! : I v. y«#| || 11 :•.'. j np i Itti Mhew-yorkK?« m* Ö/?Ö^N b/S s MEMCAL »SCMOOL Die praktischen Ziele der Bluts erumtherapie und die Immunisirungsmethoden Zweck der Gewinnung von Heilserum. Von Stabsarzt Dr. Behring, Assistenten am Institut für Infections-Krankheiten. Leipzig. Verlag von Georg Thieme. 1892. 7? Alle Rechte vorbehalten. • • • • • • • Im Laufe der nächsten Zeit gedenke ich über die therapeutische Wirkung des Serums aus dem Blute immunisirter Thiere und über die Eigen- schaften der im Serum enthaltenen Heilkörper eine Reihe von Abhandlungen zu veröffentlichen, welche die Ergebnisse der experimentellen Unter- suchungen enthalten, die von mir und von meinen Mitarbeitern bei dem Tetanus, der Diphtherie und bei Streptococcenkrankheiten gewonnen sind. Die vorliegenden beiden Abhandlungen sollen gewissermassen eine Einleitung dazu darstellen. Berlin, im Juni 1892. Der Verfasser. !3{; I. Die praktischen Ziele der Blutserumtherapie. Für eine Reihe von Krankheiten des Menschen, gegen welche die bisher angewendeten Medi- camente erfolglos geblieben sind, habe ich eine neue Heilmethode gefunden, deren wissenschaftliche Begründung gegenwärtig von keiner Seite mehr be- stritten wird. Diese neue Methode besteht darin, dass man dem zu behandelnden Individuum Heilkörper ein- verleibt, welche die krankmachenden Ursachen ver- nichten, und zwar nicht blos an solchen Körper- stellen, welche oberflächlich gelegen und auf diese Weise einer direkten Behandlung zugänglich sind, sondern überall im Innern des lebenden Körpers, im Blut und in den Organen. Die Gewinnung der Heilkörper geschieht so, dass zunächst ein Individuum gegen diejenige Krank- heit geschützt wird, welche man behandeln will, und dass man dann demselben Blut entnimmt. — 6 — Im Blute und in dem daraus gewonnenen Serum findet man nun Stoffe, welche eine derartige Heil- wirkung besitzen, wie sie bis dahin in der Geschichte der Medicin noch nicht bekannt geworden ist; ja bis vor kurzem wurde selbst die Möglichkeit, dass später einmal solche Heilmittel entdeckt würden, von den heutigen Klinikern in Abrede gestellt. Speciell das zellenfreie Blut, die klare seröse Flüssigkeit, welche sich nach der Blutgerinnung ab- scheidet, ist der Ausgangspunkt für die Prüfung der neuen Heilmittel geworden, und ich bezeichne daher meine Heilmethode als «die Bluts erumtherapiey> . Wir haben gegründete Aussicht, die in Frage kommenden Heilmittel aus dem Blut von den un- wirksamen Körpern desselben abzutrennen und die- selben in eine Form überzuführen, welche ebenso haltbar und handlich ist wie die, in welcher andere Mittel aus der Apotheke abgegeben werden. Aber auch schon bei dem gegenwärtigen Stande der Blutserumtherapie gehören nur Fleiss und Auf- wendung genügender Mittel dazu, um die Heilkör- per so zu gewinnen, dass sie geeignet sind, einige der schrecklichsten Krankheiten des Menschen mit Erfolg zu bekämpfen. Von mir selbst und von meinen Mitarbeitern sind die experimentellen Vorarbeiten hierfür an Labo- ratoriumsthieren ausgeführt beim Wundstarrkrampf, bei der Diphtherie und bei einer Gruppe von Krank- heiten, die durch kettenförmige Coccen (Strepto- — 7 — coccen) erzeugt werden, u. a. das Puerperalfieber, bösartige Lungen-, Brustfell- und Bauchfellentzün- dungen; die schlimmsten Formen der Eiterfieber, sog. Septikämien und Pyämien, Gelenkeiterungen, Wundrose, Halsentzündungen u. m. A. Um jedoch die neuen Heilmittel für den Men- schen nutzbar zu machen, bedarf es jetzt der Arbeit an anderen Thieren, als sie uns im Laboratorium zur Verfügung stehen und mit so grossen Mitteln, dass für dieselben der Etat des Instituts für Infec- tionskrankheiten nicht mehr ausreicht. Es liegt in der Natur der Sache, dass man nicht von Menschen das Blut nimmt, welches die Heil- mittel enthält; denn die Vorbehandlung, welche zur Erzeugung derselben im lebenden Körper führt, ist nicht ohne jede Gefahr für das Individuum, an wel- chem sie ausgeführt wird, und ausserdem würde es nur ausnahmsweise gerechtfertigt werden können, Transfusionen von Blut vorzunehmen, für die ein Mensch das Blut liefert, wie das ja früher wohl im Kriege und auch sonst geschehen ist. Glücklicherweise können wir auf den Menschen als blutlieferndes Individuum verzichten und statt dessen das Blut von grösseren vorbehandelten Thie- ren nehmen. Ich kann auf das bestimmteste versichern, dass sowohl das Pferdeserum, wie das Hammelserum für Einspritzungen unter die Haut des Menschen, selbst in so grosser Menge, wie sie später nicht mehr — 8 — n'öthig sein werden , absolut unschädlich gemacht werden kann. Es sind diesbezügliche Versuche von autoritativer und vorurtheils freier Seite, beispiels- weise mit Pferdeblutserum^ das die Tetanus heilkor- per enthielt, und mit Diphtherieheilserum, welches aus Hammelblut gewonnen war, ausgeführt worden. Es ist also gegenwärtig nicht mehr ein Schritt ins Dunkle, wenn die praktische Anwendung meines Heilverfahrens auch für den Menschen durch Ver- suche in grösserem Maassstabe in Angriff genom- men wird. In welcher Weise für diesen Zweck die vorbe- reitenden Arbeiten einzurichten sind, darüber glaube ich genügende Erfahrungen zu besitzen. Für den Wundstarrkrampf habe ich diese Erfah- rungen in der thierärztlichen Hochschule sammeln können, woselbst im Interesse landwirthschaftlich werthvoller Thiere, Pferde und Schafe gegen diese Krankheit geschützt worden sind; diese Versuche sind in der Absicht ausgeführt, das Blut derselben zur Heilung von tetanuserkrankten Pferden und Hammeln zu verwenden, und sie sind dort soweit fortgeführt, dass jetzt der Verwerthung des Pferde- blutes zum Zweck der Heilung anderer Thiere nichts mehr im Wege steht. Anders liegen die Verhältnisse für den tetanus- erkrankten Menschen. Ganz abgesehen davon, dass die von dem land- wirtschaftlichen Ministerium zur Verfügung ge- — 9 - stellten Mittel, welche sich incl. der Verpflegung und Wartung der benutzten Thiere nach dem Ur- theil von Prof. Schütz, dem ich die Möglichkeit des Arbeitens an grossen Thieren hauptsächlich ver- danke, auf mindestens ioooo Mark belaufen, eben nur für landwirthschaftliche Zwecke bewilligt sind, so stehen der Verwendung des Tetanus-Heilserums für den Menschen in der Weise, wie sie für Pferde gehandhabt werden kann, principiell die ernstesten Bedenken entgegen. Die Blutentnahme geschieht nämlich so, dass am lebenden Thiere ein Aderlass vorgenommen wird ; das verträgt beispielsweise ein Pferd, auch wenn die Aderlässe sich innerhalb kurzer Zeit wiederholen, ganz vorzüglich, und so kann man voraussichtlich jahrelang ein und dasselbe Thier gleichsam wie eine wandelnde Apotheke benutzen. Nun wurden für die bisher unternommenen Ver- suche nicht gerade die gesundesten Pferde ausge- sucht, sondern — aus Sparsamkeitsrücksichten — alte, mit vielen Fehlern behaftete Thiere. Prof. Schütz und ich waren uns sehr wohl be- wusst, dass damit eine gewisse Gefahr verbunden ist. Wenn nämlich solche ganz billige Pferde an Krankheiten leiden, die auch dem Blut krankmachende Eigenschaften verleihen, so ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass krankmachende lebende Keime oder Gifte auf dasjenige Individuum übertragen — IO werden, dem man das Blut solcher Thiere zu Heil- zwecken incorporirt. Für landwirthschaftliche Zwecke sind aber diese Bedenken nicht ausschlaggebend. Da ist das ein- fach eine Frage, die durch Rechnung entschieden werden kann. Man sagt sich da, dass das Risiko, durch Uebertragung von gesundheitsschädlichen Stof- fen beispielsweise ein tetanuserkranktes Pferd zu schädigen, kaum in's Gewicht fällt. Verloren ist dasselbe ohne Behandlung fast absolut sicher. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass es nach seiner Heilung durch eine Bluttransfusion an seiner Gesundheit Schaden erleiden könne, ist nur sehr gering. Nun würde man ja unter Umständen ein solches Calcul auch für den tetanuserkrankten Menschen an- stellen können. Aber ich meine, wenn wir im Stande sind, bei der Behandlung eines kranken Menschen jede Ge- fahr seiner Schädigung dtirch das anzuwendende Heilmittel auszuschliessen, dann haben wir auch die Pflicht, das zu thun, und dann dürfen wir flicht aus Sparsamkeitsrücksichten ein solches Risiko über- nehmen, wie wir es zur Behandlung von Pferden unbedenklich thun werden. Nun existirt aber diese Möglichkeit, jede Gefahr von Seiten des Tetanus heilserums auszuschliessen, durchaus. Wir brauchen bloss durch die Section uns von der Gesundheit des blutliefernden 7 hier es zu über- II zeugen in eben derselben Weise, wie das auch obliga- torisch ist für diejenigen Thiere (Kälber), welche uns die Pockenlymphe liefern. Was aber bei den pockenlymp helle fernden Thieren verlangt wird, das muss erst recht verlangt werden für die heilserumliefernden Thiere aus dem Grunde, weil die zu übertragenden Mengen sehr viel grossere sind, als bei der Pockenimpfung \ Die Richtigkeit dieser Ueberlegungen voraus- gesetzt, erweist es sich demnach als durchaus noth- wendig, für die Heilung der tetanuskranken Men- schen von Neuem Pferde zu immunisiren; nach der Erlangung desjenigen Immunitätsgrades, welcher für den vorliegenden Zweck erforderlich ist, würde dann ein Thier durch Blutentziehung zu tödten sein; und wenn dann die Section durch einen Sachverständigen die Gesundheit des Thieres ergeben hat, dann erst würde den Aerzten das Heilserum unbedenklich in die Hand gegeben werden können. Wie dringend die Beschaffung genügender Men- gen von demselben ist, dafür führe ich folgende Beläge an. In Berlin sind im Laufe der Zeit vom August bis zum December 1891 vier Fälle in der Charite (incl. Institut für Infectionskrankheiten) und ausserdem mehrere Fälle in anderen Krankenhäusern Berlins und in der Praxis von hiesigen Aerzten zu meiner Kenntniss gekommen. Von auswärts erhielt ich telegraphische Anfragen von Breslati (Prof. Biermer und Dr. Stern), von Bonn (Prof. Trendelen- — 12 — bürg), ferner wurde ich von Potsdam aus und von anderen Orten angefragt, ob ich für tetanuserkrankte Menschen Heilserum schicken könne. Neuerdings ist eine solche Anfrage an's Institut für Infectionskrankheiten aus Spandau (Dr. Rieder) und aus München aus der Universitäts - Kinderklinik von Dr. Herzog an mich gekommen. Sämmtliche Fälle, um die es sich hier handelt, konnten aus den oben erwähnten Gründen nicht mit Heilserum behandelt werden, sie sind, soweit mir bekannt geworden ist, an Tetanus gestorben. Für die Diphtherie habe ich mit Stabsarzt Wer- nicke unter Aufwendung von eigenen Mitteln die Vorbehandlung von grösseren Thieren (Schafen) so- weit gefördert, dass auch hier es nur darauf an- kommt, unsere Versuche im grösseren Maassstabe zu wiederholen, um den diphtheriekranken Menschen zu heilen. Unser eigenes Thiermaterial gedenken wir in der Hauptmenge für wissenschaftliche Unter- suchungen über die Steigerungsfähigkeit der heilen- den Wirksamkeit des Blutes und über die Natur der Heilkörper auszunützen. Zur Behandlung des kranken Menschen haben wir uns entschlossen, eines der Thiere zu tödten. Nach Feststellung der Gesundheit desselben ist jetzt für einige diphtheriekranke Kinder eine genügende Serummenge vorhanden. Es ist aber selbstverständ- lich, dass wir uns nicht in der Lage sehen, mit — i3 — unseren privaten Mitteln über die wissenschaftliche Begründung des Heilverfahrens hinaus die Versuche mit grösseren Thieren fortzusetzen; dazu reichen unsere privaten Mittel nicht aus. Dass für die Diphtherie aber ein Bedürfniss nach einem specifischen Heilmittel vorliegt, dafür brauche ich wohl zahlenmässige Beläge nicht erst anzuführen. Für die durch Streptococcen erzeugten Krank- heiten des Menschen (Puerperalfieber, Pyämie, Wund- rose, Lungen-, Brustfell-, Bauchfell-, Gelenk-, Hals- entzündungen u. s. w.) ist durch Versuche an Labora- toriumsthieren experimentell bisher nur die Möglich- keit ihrer specifischen Behandlung und Heilung er- bracht; die Versuche an grösseren Thieren sind in Folge des Mangels an Mitteln lange Zeit nicht aus- führbar gewesen, und erst in jüngster Zeit konnten sie in landwirthschaftlichem Interesse in Angriff ge- nommen werden mit Mitteln, welche das landwirth- schaftliche Ministerium Herrn Professor Schütz zur Verfügung gestellt hat. Bisher war nur von der Heihmg schon erkrankter Individuen die Rede. Das Tetanusheilserum, das Diphtherieheilserum und das Streptococcenheilserum hat aber noch eine Wirkung, die es auf's höchste wahrscheinlich macht, dass wir die Krankheiten, um die es sich hier han- — 14 — delt, nicht bloss heilen können, sondern dass wir die davon bedrohten Menschen mit noch viel grösserer Sicherheit vor denselben schützen können. Für den Tetanus, der im Ganzen doch nur selten vorkommt, wird eine praktische Ausnützung dieser Fähigkeit des Heilserums kaum in Frage kommen, wohl aber für die Diphtherie und für die Strepto- coccenkrankheiten. Was die Diphtherie betrifft, so halte ich es für wahrscheinlich, dass man zunächst in solchen Familien sich zu prophylaktischer Anwendung des Heilserums entschliessen wird, in welchen mehrere Kinder zur Zeit einer Diphtherie -Epidemie bedroht sind, und wo von denselben eines schon erkrankt ist. Da die schützende Wirkung des Serums sofort nach seiner Anwendung in Kraft tritt, wird der Nutzen einer solchen Vorbehandlung viel eklatanter sein, als bei der Pockenimpfung, wenn diese an Personen ausgeführt wird, die zur Zeit einer Pocken- epidemie der Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind. Nach erfolgter Pockenimpfung vergeht nämlich bis zum Eintritt ihrer schützenden Wirkung immer eine gewisse Zeit, meistens mehrere Tage ; und auf solche Personen, die schon den Krankheitskeim in sich tragen, kann sie — nach dem Stande unserer gegen- wärtigen Kenntnisse — eine krankheitverhütende Wirkung nicht ausüben. Anders verhält sich die Sache bei der Diphtherie, bei welcher die Serumbehandlung ja auch die schon — i5 — inficirten Individuen vor dem Ausbruch der Krank- heit zu bewahren im Stande ist. Nach den bisher vorliegenden Erfahrungen über das Diphtherieheilserum verspreche ich mir für die Zukunft die segensreichsten Folgen gerade von seiner Anwendung bei diphtherie^^r^^/z Kindern zu Zeiten, in denen an einem Orte eine heftige Epidemie schon herrscht. Wenn ich bisher in meinen Publicationen aus- schliesslich die Heilwirkung des Serums besprochen habe, so geschah das deswegen, weil ich es für ganz selbstverständlich halte, dass nach der Aner- kennung einer specifisch- heilenden Leistung meines Mittels einerseits, seiner Unschädlichkeit andererseits, die Vorbehandlung diphtheneöedrohler Kinder mit dem Heilserum auf keinerlei Schwierigkeiten stossen wird. Auch bei den Streptococcenkrankheiten halte ich eine prophylaktische Anwendung des Heilserums, wenn dasselbe in genügender Menge und Wirksam- keit vorhanden sein wird, für sehr wahrscheinlich. Nach den Untersuchungen von mir und von meinen Mitarbeitern steht in der Auffassung des Wesens der hierhergehörigen Krankheiten eine ähn- liche Umwandlung — nur noch in viel ausgeprägte- rem Grade — bevor, wie wir sie vor einem Jahr- zehnt in Bezug auf die Tuberculose erlebt haben. Wie nach der Entdeckung des Tuberkelbacillus — i6 — eine Unmenge von krankhaften Veränderungen, an deren ätiologische Zusammengehörigkeit vorher kaum gedacht worden war, zur Tuberculose gerechnet werden mussten: der Lupus, Knochen- und Gelenk- erkrankungen, Krankheiten des Mittelohres, der se- rösen Häute, des Darms u. s. w., die doch schein- bar so grundverschieden sind von der eigentlich sogenannten Tuberculose, nämlich der Lungen- schwindsucht, so werden nach Anerkennung der jetzt kaum noch anzuzweifelnden Zusammengehörig- keit der meisten Kettencoccen die verschiedenartig- sten Erkrankungen ätiologisch einheitlich betrachtet werden müssen, und man wird vielleicht schon in kurzer Zeit sich daran gewöhnt haben, bei der Wundrose, bei manchen Abscessen, bei vielen Ge- lenkleiden, bei Erkrankungen der Brust- und Bauch- höhle, bei vielfach verschieden ablaufenden Eiter- hebern, in erster Linie nicht an die für den Kliniker und für den pathologischen Anatomen zu Tage tre- tenden Differenzen, sondern an die bacteriologische Einheit dieser Krankheitsprocesse zu denken. Die grösste Bedeutung wird aber die Zusammen- gehörigkeit aller dieser Krankheiten gewinnen, wenn sie alle durch ein und dasselbe Mittel geheilt wer- den können, und wenn man den Menschen gegen die Streptococceninfection, welche wohl noch grössere Verbreitung hat, als die Tuberculose, schützen kann. In der That glaube ich, dass nächst den wissen- schaftlichen Arbeiten über die Tuberculose das Stu- — i7 — dium der Streptococcenkrankheiten am meisten dazu beitragen wird, die Bedeutung der modernen bac- teriologischen Forschung für die krankheitbedrohte Menschheit ins rechte Licht zu setzen. Wenn ich es unternommen habe, nicht blos die bisherigen Leistungen auf dem Gebiete der Blut- serumtherapie, sondern auch die Perspective zu schildern, welche die Resultate von Laboratoriums- arbeiten uns zu gewähren imstande sind , so ge- schieht das hauptsächlich aus dem Grunde, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass die Mittheilungen der experimentell-wissenschaftlichen Originalarbeiten in Fachzeitschriften nur einem kleinen Theile des ärztlichen Publikums zugänglich sind, während es doch wünschenswerth ist, dass vor der Uebertragung der durch Thierexperimente gewonnenen Ergebnisse auf den kranken Menschen die Principien und die Ziele der neuen Heilmethode in der Hauptsache allgemein bekannt werden. Wie man aus meiner Schilderung erkennen kann, wachsen jetzt die Arbeiten aus dem Rahmen der eng begrenzten Laboratoriumsthätigkeit heraus. So lange es sich darum handelte, die wissen- schaftlichen Vorarbeiten für die Begründung der neuen Heilmethode auszuführen, konnte es der Sache nur förderlich sein, wenn von derselben nicht viel Geräusch gemacht und die öffentliche Discussion — 18 — darüber möglichst vermieden wurde. Die Controlle der Arbeiten durch meinen hochverehrten Lehrer, Herrn Geheimrath Koch, sein Rath und seine Hülfe in allen Stadien derselben bot die beste Gewähr dafür, dass ich nicht gar zu sehr auf Abwegen mich verlor. An der Uebertragung der wissenschaftlichen Re- sultate auf die ärztliche Praxis sind wir aber nicht wesentlich mehr interessirt, als alle anderen Aerzte und als die kranken und die krankheitbedrohten Menschen, denen die neuen Heilmittel zugute kom- men sollen. Es ist jetzt Sache der weiter betheiligten Kreise, dafür zu sorgen, dass die Arbeiten im Interesse der leidenden Menschen in ähnlicher Weise ermöglicht werden, wie das durch die thatkräftige Unterstützung des landwirtschaftlichen Ministeriums im Interesse landwirthschaftlich werthvoller Thiere schon jetzt geschehen ist. 19 IL Ueber Immunisirungsmethoden zum Zweck der Heilserumgewinnung. Ich habe am Eingang dieser Publication gesagt, dass zur Heilserumgewinnung vorerst Thiere gegen diejenige Krankheit immunisirt werden müssten, für welche man das Heilserum bekommen will, und dass man dann den immunisirten Thieren Blut ent- zieht. Damit habe ich den Theil der vorbereitenden Arbeit in der Blutserumtherapie kurz berührt, welcher schliesslich, wenn man die Heilkörper fertig in Hän- den hat, leicht vergessen wird. In der That ist aber dieser Theil der Arbeit der schwierigste. Er verhält sich zu derjenigen Arbeit, die mit der Blutentnahme beginnt, ungefähr so, wie die Arbeit des Ackermanns in 1 1 Monaten des Jahres zu der kurzen Zeit der Ernte, und auch in anderen Dingen lässt sich unsere Immunisirungsarbeit mit der mühseligen, oft langweiligen und an unangenehmen 20 — Zwischenfällen leider nur zu reichen Thätigkeit eines Ackerbauers vergleichen. Da hilft kein Reden und es hilft verhältnissmässig wenig auch nur das Theoretisiren; da hilft haupt- sächlich ehrliche Arbeit und Geduld. Pasteur und Koch, und diejenigen, welche mit ihnen zusammen die Principien der Immunisirung aus- gearbeitet haben, theoretisirten — publice wenig- stens — nicht viel; die publicirenden Theoretiker in der Immunitätslehre haben aber meines Wissens brauchbare neue Immunisirungsmethoden uns nicht kennen gelehrt. Bei dieser meiner Stellungnahme wird man, wenn ich es im Folgenden unternehme, Einiges über Im- munisirungsmethoden zu sagen, nicht von mir er- warten, dass ich hier die Zahl der Immunitätstheorien vermehre; ich habe vielmehr nur die Absicht, That- sächliches aus dem Gebiet der Immunitätslehre kritisch zu beleuchten. Dass man nicht ganz ohne eigene Ideen wirklich Neues, Wahres und Werthvolles den bis dahin be- kannten Thatsachen hinzufügen kann, versteht sich wohl von selbst. Ich betrachte aber die Theorie nur wie ein Baugerüst, das man fallen lässt, sobald das Gebäude, für dessen Bau es errichtet wurde, vollendet ist. Für diejenigen Krankheiten, mit welchen ich mich eingehender beschäftigt habe, um specifische Heil- 21 körper gegen dieselben zu bekommen, für die Diphtherie, den Tetanus und die Streptococcen- krankheiten, war zur Zeit des Beginns meiner Arbeiten noch nicht einmal die Möglichkeit der Immunisirung zugestanden. Es mussten daher erst neue Immunisirungs- methoden gefunden werden, mit denen ich mein Ziel erreichen konnte. Der Schwierigkeiten dieser Aufgabe mir vollauf bewusst, und andererseits von dem Streben ge- leitet, eine solche Lebensaufgabe auf ein wichtiges und würdiges Ziel zu richten, wählte ich gleich von vornherein eben solche Krankheiten, die den Menschen treffen, und die bis jetzt mit anderen Medicamenten noch nicht bekämpft werden konnten. Ausschlaggebend für mein Vorgehen waren Be- obachtungen bei der Diphtherie der Meerschwein- chen, welche ich vor nunmehr i3/4 Jahren mit fol- genden Worten mitgetheilt habe: »Eine bis jetzt noch nicht benutzte Immunisirungs- methode kann gleichfalls auf die Wirkung der Stoff- wechselproducte der Diphtheriebacillen zurückgeführt werden. Sie besteht darin, dass man die Thiere zuerst inficirt und dann die deletäre Wirkung durch thera- peutische Behandlung aufhebt. Es erinnert diese Methode einigermaassen an 22 das Zustandekommen der Immunität nach dem Ueber- stehen mancher Infectionskrankheiten des Menschen. Die in einer später mitzuteilenden, gemeinschaft- lich mit Herrn Hofarzt Boer ausgeführten Arbeit erzielten Versuchsresultate bei ca. 30 Mitteln be- weisen, dass es nicht leicht ist, diphtherieinficirte Thiere zu heilen. Sehr vorzügliche Desinficientien, wie das Silbernitrat und das Quecksilber in seinen ver- schiedenen Verbindungen, das Goldkaliumcyanid u.sw. lassen da vollkommen im Stich. Aber es giebt einige wenige chemisch wirksame Desinfectionsmittel, welche Meerschweinchen, die nach subcutan erfolgter Infection alsbald in Behandlung genommen werden, zu heilen vermögen. So besitzt Dr. Boer ver- einzelte Meerschweinchen, die durch Goldnatrium- cklorzd, durch Naphtylamin, durch Trichloressigsäure> Carbolsäure geheilt sind. Obenan in der Leistungsfähigkeit steht aber das Jodtrichlorid. Von 8 Meerschweinchen, die ich mit 0,3 ccm Cultur subcutan inficirte, starben zwei nicht behandelte Thiere nach 24 Stunden. Vier Thiere, welchen sofort nach der Infection 2 ccm einer Jod- trichloridlösung (2 kleinere Thiere erhielten iproc, 2 grössere 2 proc. Lösung) an die Stelle der In- fection subcutan eingespritzt wurden, blieben sämmt- lich am Leben; bei zwei Thieren wurde die Behand- lung erst nach 6 Stunden begonnen; eins derselben starb nach 4 Tagen, das andere blieb am Leben; bei allen Thieren wurde an den 3 nächstfolgenden — 23 — Tagen eine neue Jodtrichlorideinspritzung gemacht. Ueber 6 Stunden hinaus nach der Infection habe ich bei Meerschweinchen einigermaassen sichere Resultate nicht mehr bekommen, auch dann nicht, wenn die Thiere so schwach geimpft wurden, dass dabei normale Thiere erst nach 4 Tagen starben. Die überlebenden Meerschweinchen sind lange Zeit krank; ihre Heilung wird eingeleitet durch eine demarkirende Entzündung an der Infectionsstelle ; später bildet sich ein trockner Schorf, der immer weniger festsitzend wird, bis man ihn schliesslich abheben kann; unter diesem Schorf sind noch nach j Wochen lebende und virulente Diphtheriebacillen nachweisbar gewesen. Inficirt man nun solche Thiere, bei denen zwar das Allgemeinbefinden schon ganz gut geworden ist, bei denen aber noch eine offene Geschwürsfläche besteht, so zeigen sie eine erheblich grössere Wider- standsfähigkeit gegen die Infection als normale; je- doch erst nach vollkommener Verheilung und Nar- benbildung habe ich mehrere jodtrichloridbehandelte Thiere, und hat Dr. Boer ein mit Goldnatriumchlorid geheiltes Thier soweit immun gefunden, dass diese Meerschweinchen vollvirulente Diphtherieimpfung ver- trugen, an der die Controlthiere in 36 Stunden starben. « Diese Immunisirungsmethode ist der Ausgangs- punkt geworden für die Ausarbeitung derjenigen, die ich zusammen mit Stabsarzt Wernicke seit einem — 24 — Jahre mit Erfolg bei Meerschweinchen und Schafen verwende, die ich dann mit ganz glänzendem Erfolg bei Mäusen, Meerschweinchen, Kaninchen, Schafen und Pferden zur Immunisirung gegen Tetanus ge- braucht habe, und die ausserdem in Versuchen des Herrn Dr. Knorr sich auch gegenüber den Streptococcenkrankheiten bewährt hat. Durch welche Ueberlegungen ich zu dieser neuen, wie es scheint einer allgemeinen Verwendung fähigen Methode gekommen bin, schildert folgender Passus in meiner mit Wernicke veröffentlichten Arbeit »Ueber Immunisirung und Heilung von Versuchs- tieren bei der Diphtherie«. (S. 13.) Bezugnehmend auf das obige Citat sagen dort Wernicke und ich: »Fragt man sich, wie die Immunisirung hierbei zustande kommt, so ist eine andere Deutung kaum möglich, als dass die durch das Jodtrichlorid — wie wir des öftern feststellen konnten — im Thierkörper nicht abgetödteten Diphtheriebacillen weiter fort- fahren, ihre Stoffwechselproducte zu produciren, dass dieselben jedoch eine Veränderung erfahren. Das Diphtheriegift wird, wie wir sagen, abgeschwächt. Es lag nun der Versuch nahe, ob man nicht diese Einwirkung des Jodtrichlorids auf das Diph- theriegift ausserhalb des Organismus verlegen und den Vorgang der Immunisirung für das Thier unge- fährlicher machen kann, indem man ihm jodtrichlorid- behandelte Diphtherieculturen applicirt, statt es zu- — 25 — erst mit Diphtherie zu inficiren und hinterher mit Jodtrichlorid zu behandeln. Gleich die ersten Versuche waren sehr ermu- thigend, und es galt nun blos noch, das Verfahren weiter auszubilden ... Es ist ziemlich gleichgiltig für das Gelingen der Versuche, ob man bacillen- haltige oder ganz keimfreie Culturen zum Zwecke der Immunisirung wählt. Das Wesentliche bei unseren Resultaten ist nur der Grad der Giftigkeit derselben. « Am meisten schematisch und bis zu einem ge- wissen Grade vorbildlich für die Immunisirung gegen andere Krankheiten habe ich mit Herrn Professor Schütz, unter der werthvollen Assistenz von Herrn Thierarzt Casper, meine Methode für den Schutz gegen Tetanus ausgebildet. Ich lasse daher die hierauf bezüglichen Stellen in meiner Arbeit: »Ueber Immunisirung und Heilung von Versuchsthieren beim Tetanus« im Wortlaut und in extenso folgen: Von denselben Erwägungen ausgehend, die WER- NICKE und mich bei der Diphtherie jodtrichloridbehan- delte Culturen zur Immunisirung wählen Hessen, und die dort zu befriedigendem Endergebniss führten, habe ich zur Erlangung besserer und schnellerer Immunisirung auch gegenüber dem Tetanus diese Methode angewendet. Die diesbezüglichen Versuche ergaben bei Kaninchen sofort positive Resultate, und ich darf behaupten, dass die Immunisirung von Kaninchen gegen den Tetanus durch Vorbehandlung mit jodtrichlondbehandelten Tetanus- Bouillonculturen (oder Filtraten derselben) zu den leich- — 26 — teren Aufgaben gehört, die an einen Bacteriologen ge- stellt werden können. Vorbedingung für das Gelingen dieser Versuche ist die genaue Kenntniss des Wirkungswerthes der Culturen bezw. der Filtrate. Diejenigen Culturen, mit welchen ich arbeitete, waren mir von Herrn KlTASATO zur Verfügung gestellt worden, wofür ich demselben auch an dieser Stelle meinen Dank abstatte; wie ich denn überhaupt nicht umhin kann her- vorzuheben, dass nur durch die Mitarbeit des Herrn KlTAsATO, vermöge seiner unvergleichlichen Beherrschung aller Specialfragen in der Tetanusätiologie, es möglich geworden ist, die Immunisirung und Heilung bei dieser Krankheit in kurzer Zeit so weit zu fördern, wie das aus dem folgenden Bericht hervorgehen wird. Im Laufe der letzten Monate habe ich nun 8 ver- schiedene Culturen bekommen. Um den Wirkungswerth derselben zu bestimmen, verfuhr ich in der Weise, dass ich sie an Mäusen und an Kaninchen prüfte. Wie ich das mache, will ich für diejenige Cultur beschreiben, welche ich in letzter Zeit angewendet habe. Dieselbe war am 15./XI. 91 in Fleischextractbouillon angelegt und hatte, als ich sie bekam, 10 Tage im Brütschrank gestanden. Beim Oeffnen des paraffingedichteten Verschlusses entwichen äusserst intensiv, für Tetanusculturen charak- teristisch, aber schwer zu beschreibend riechende Gase. Die mikroskopische Untersuchung der stark ge- trübten .Cultur ergab neben reichlichen Stäbchen auch viele Sporen. Von dieser Cultur standen mir 3 Kolben mit je 2ooccra zur Verfügung. Ich goss nun den Inhalt der 3 Kolben zusammen, - 27 — mischte gut und entnahm von der Mischung 3occm zur Prüfung der frischen unveränderten Cultur. Den Rest versetzte ich mit soviel Carbolsäure, dass der Gehalt daran o . 5 Procent betrug. Von der carbolsäurehaltigen Cultur filtrirte ich dann die Hälfte solange durch Filtrirpapier , bis das Filtrat klar wurde, was durch fortwährendes Zurück- giessen des Filtrats auf das allmählich seine Poren mit den unlöslichen Bestandtheilen der Cultur verlegende Filter leicht zu erreichen ist. Das Filtrirpapier schnitt ich dann in zwei Theile; den einen brachte ich behufs Zerstörung des daran haftenden Tetanusgiftes 30 Minuten lang in einen Wärme- schrank, der auf eine Temperatur von 8o° eingestellt war. Den anderen breitete ich in einer PETRl'schen Schale aus und brachte ihn in einen Exsiccator. Nunmehr hatte ich also von oben erwähnter Cultur zu prüfen: 1. dieselbe unverändert, 2. versetzt mit o • 5 Procent Carbolsäure, 3. das Filtrat, 4. den Rückstand, welcher a) bloss noch durch Infection wirken konnte, da bei 80 ° alles Gift unwirksam geworden ist; b) Sporen, Bacillen und Giftreste enthielt. Die Untersuchung ergab Folgendes: Von der un- veränderten Cullur war die tödiliche Minima Idosis für Mäuse o • 0002 srm. Dieselbe wurde in der Weise be- stimmt, dass ich zunächst von der Cultur eine ioofache Verdünnung mit Wasser herstellte; nach o-i ccm dieser loofachen Verdünnung starben Mäuse bei subcutaner Injection schon nach weniger als 24 Stunden an Tetanus. — 28 — Bei 50ofacher Verdünnung genügte o . i ccm, um den Tod am dritten Tage herbeizuführen. Bei iooofacher Verdünnung starben bei subcutaner Injection von o ■ i ccm die Mäuse in 4 bis 7 Tagen, von o • 2 ccm in 3 bis 4 Tagen. Ich betrachte aber, wie bei der Diphtherie, diejenige Dosis als sicher tödtliche Mini- maldosis, welche nach 3 bis 4 Tagen die Thiere tödtet. Das ist also für diese Cultur 0-0002 grm bezw. oooo2ccm. Dieser Werth veränderte sich bei der im Eisschrank aufbewahrten Cultur im Laufe von 3 Wochen derart, dass die tödtliche Minimaldosis nicht mehr o • 0002 ccm, sondern o • 001 ccm betrug. Bei gleicher Prüfung fand ich für die carbolsäure- haltige Cultur, die übrigens nicht im Eisschrank, sondern bei Zimmertemperatur aufbewahrt wurde, als tödtliche Minimaldosis für Mäuse o ■ 0003 £rm; nach 3 Wochen betrug sie — wie bei der carbolsäurefreien Cultur oooi^rm. Die tödtliche Minimaldosis vom Filtrat war zuerst o ■ 005, nach 3 Wochen 0.01.*) Für mittelgrosse Kaninchen betrug die innerhalb von 3 bis 4 Tagen sicher tödtlich wirkende Minimal- dosis: von der unveränderten Cultur. . . o-6ccm von der carbolsäurehaltigen Cultur . o . 6 „ von dem Filtrat 3 • ° » Vier Wochen später war die tödtliche Minimaldosis von der carbolsäurefreien und carbolsäurehaltigen Cultur o-8ccm bis i-occm. Das Filtrat ist an Kaninchen nicht geprüft worden. *) Von einer anderen ebenso behandelten Cultur war das Filtrat sehr viel weniger wirksam, und ich hebe ausdrücklich hervor, dass die Filtration je nach ihrer besonderen Art und Dauer sehr verschie- denen Einfluss auf die Giftwirkung der Tetanusculturen ausüben kann. — 29 — Es besteht also — wie ich das übrigens auch für andere Culturproben gefunden habe und auch für andere Thierarten constatiren konnte — nicht ein derartiges Verhältniss, dass man aus der Wirkung auf Mäuse ohne Weiteres schliessen könnte, wie für bacterienhaltige und bacterienfreie bezw. bacterienarme Culturen die Wirkung sich bei anderen Thieren verhalten wird. Immerhin bekommen wir durch die Feststellung der tödtlichen Minimaldosis für Mäuse sehr werthvolle Anhaltspunkte für die Leistungsfähigkeit auch bei Kaninchen. Der auf 80 ° erhitzte Filterrückstand (mit einem feinen Streifen Filtrirpapier unter die Haut gebracht) war für Mäuse sehr infectiös, für Kaninchen aber gänz- lich unwirksam. Der im Exsiccator getrocknete machte von 3 Kaninchen eines vorübergehend krank. Der carbolsäurehaltigen Flüssigkeit habe ich dann verschiedene Jodtrichloridzusätze gegeben und nach min- destens 36stündiger Einwirkung des Jodtrichlorids von Neuem an Mäusen die tödtliche Minimaldosis bestimmt. Es betrug bei einem Zusatz von: JCI3 o • 05 pCt. dieselbe für Mäuse o • 005 ccm JCI3 o • 1 „ 0.05,, JGI3Q.15 » o-i JCI30. 175 „ 0.3 „ JCI3 O • 2 „ O • 8 „ (unsicher) Für Kaninchen war sie bei: JCI3 0.05 Procent = 2-5ccm JCI3 o . 1 „ = 6 „ Culturen mit einem noch höheren Gehalt an JC13 habe ich dann nicht mehr tödtlich wirkend gefunden. Diejenigen Kaninchen nun, welche solche Dosen der unveränderten oder mit Carbolsäure und mit Jodtrichlorid versetzten oder der filtrirten Cultur oder endlich von — 3° — dem Filterrückstand bekamen, die zur Herbeiführung des Todes nicht ausgereicht hatten, wurden später darauf- hin geprüft, ob sie eine veränderte Empfänglichkeit für erneute Infectionen besassen. Es zeigte sich da, dass solche Thiere, die zwar nicht an Tetanus starben, die aber leichte tetanische Erschei- nungen, insbesondere Contracturen der Rückenmusculatur erkennen Hessen, höhere Temperatur bei der Messung im Rectum aufwiesen, oder durch Abmagerung, ver- minderte Fresslust und Unbehülflichkeit der Bewegungen allgemeine Krankheitssymptome darboten, — ausnahms- los empfindlicher gegenüber der Tetanusinfection oder Vergiftung mit flltrirter Cultur waren als frische Thiere, so lange die Krankheit dauerte. Diejenigen aber, welche von solcher Erkrankung sich vollständig erholt hatten, vertrugen mehr als die für Controlthiere tödtliche Minimaldosis und documentirten damit einen gewissen Grad von Immunität, der durch Weiterbehandlung mit Culturflüssigkeit immer höher ge- trieben werden komite. Wollte man nun diese Art der Immunisirung metho- disch anwenden, so wäre es kaum zu umgehen, dass durch den Act der Immunisirung ein nicht unbeträcht- licher Procentsatz von Versuchsthieren verloren würde. Bleibt man nämlich weit unter der tödtlichen Minimal- dosis, so ist der Immunisirungseffect ein sehr geringer und man würde damit nicht zum Ziele kommen; nähert man sich aber der bei einem Thiere vorher festgestellten tödtlichen Minimaldosis, so kann dieselbe — bei den nicht unerheblichen Differenzen in der Tetanusempfäng- lichkeit verschiedener Kaninchen — für ein anderes Thier schon zur Tödtung genügen. Es lässt sich aber ohne alle Gefahr des Verlustes — 3* — von Thieren die Immunisirung in der Weise schnell und sicher erreichen, dass man von ganz inoffensiven Culturen zu immer wirksameren aufsteigt. Man kamt zu diesem Zweck so verfahren, dass man von der unveränderten Cultur oder noch besser von dem Filtrat derselben etwa mit dem 20. Theil der tödtlichen Minimaldosis beginnt und innerhalb von 4 Wochen bis zur doppelten Menge derselben ansteigt. Man kann aber auch zum Ziele gelangen, wenn man grössere Culturmengen durch Jodtrichloridzusatz weniger wirksam macht und damit die Behandlung einleitet. Ich fange mit der Injection von 5 ccm o.25procent. JCI3 an und steige in 3- bis 5tägigen Pausen in der Weise, dass ich das nächste Mal 5 ccm 0.2 procent., dann 5ccm 0.15 procent. u. s. w. injicire. Bei dieser Art der Behandlung werden die Thiere in der Regel überhaupt nicht krank, jedenfalls habe ich nie dabei Verluste zu beklagen gehabt. Innerhalb von 4 bis 6 Wochen kann man so bis zu einer Immunität =10 und darüber (nach Ehrlich's Berechnung) kommen. — Genau wie bei der Diphtherie entspricht dem Grade der erworbenen Immu- nität die Fähigkeit des Blutes, andere Thiere zu immu- nisiren und zu heilen, und man kann daher auch ohne Infection mit gefahrbringenden Dosen sich von dem Grade der Immunität Kenntniss verschaffen. Bei meinen Kaninchen entsprach der Immunität von 10 (Ehrlich) eine solche immunisirende Fähigkeit des Blutes, dass Mäuse, die o 05 ccm Blutserum subcutan injicirt bekamen, nicht mehr an Tetanus starben, wenn sie hinterher mit der für sie sonst tödtlichen Minimaldosis inficirt wurden. Das macht bei Zugrundelegung des Gewichts von 20 £rm pro Maus ein Verhältniss 0.25: 1 00 oder 1 : 400. — 32 — Während man für die Kaninchen zwischen den beiden eben skizzirten Immunisirungsmethoden die Wahl hatr ist das nicht der Fall, wenn man Mäuse mit Cultur- flüssigkeit gegen Tetanus immunisiren will. In Bestäti- gung der Angaben von KlTASATO kann ich da bloss über negative Resultate meiner diesbezüglichen Versuche berichten. Dagegen gelingt es nach den bei der Kaninchen- immunisirung dargelegten Grundsätzen, Mäuse mit jod- trichloridbehandeltem Filtrat immun zu machen; nur fange ich da nicht mit o • 2$ Procent JC13 enthaltender Flüssigkeit, sondern mit o • 4 Procent JC13 an und all- mählich steigend injicire ich in 8tägigen Intervallen jedes- mal o • 4 ccai. Ich habe dabei Verluste an Mäusen bis ca. 40 Procent gehabt, aber gesehen, dass auch die Im- munisirung dieser Thiere eine ausführbare Sache ist; bei weiterer Ausbildung des Immunisirungsverfahrens würden die Verluste sicherlich geringer werden. Auf die Gründe, die möglicherweise für die Erklä- rung der differenten Wirkung der Verdünnungs- und der Abschwächungsmelhode durch Jodtrichlorid in Frage kommen, will ich hier nicht eingehen und nur an die Thatsache erinnern, dass auch gegenüber der Diphtherie durch die Vorbehandlung mit kleinen und allmählich ge- steigerten Mengen des unveränderten Diphtheriegiftes oder der lebenden Bacillen bei Meerschweinchen bisher Immunität nicht bekommen werden konnte, während die Anwendung der jodtrichloridbehandelten Culturflüs- sigkeit auch gegenüber der Meerschweinchendiphtherie zum Ziele führt. Für die Immunisirung von Pferden und Schafen war ich schon vor 6 Monaten in der Lage, ge- — 33 — wissermaassen ein Immunisirungsr^^/ zu schreiben. Dasselbe lautet (1. c. S. 54 ff.): Man verschaffe sich, wenn man ein Pferd immuni- siren will, eine grössere Menge, mindestens 200 ccm Tetanusbouilloncultur von solchem Wirkungswerth, dass °-75ccm genügen, um mit Sicherheit ein ausgewachsenes Kaninchen in 3 bis 4 Tagen zu tödten. (Durch Ver- suche an Mäusen wird man sich bei einer solchen Cultur überzeugen, dass noch von einer 500 fachen Verdünnung derselben 01 bis o . 2 ccm genügen, um jede Maus in spätestens drei Tagen an Tetanus sterben zu lassen.) Diese 200 ccm Cultur versetze man mit Carbolsäure bis zu einem Gehalt von o ■ 5 Procent behufs Conservirung bei längerer Aufbewahrung. Die carbolsäurehaltige Cultur flüssigkeit werde dann in verschiedene Portionen abgetheilt: 1. 20ccm bleiben ohne weiteren Zusatz. 2. 40 „ werden mit einem Zusatz von JC13 0.125 Procent versehen. 3. 6occm erhalten einen Zusatz von 0.175 Procent JC13. 4- 8o » n n n n ° • 25 n Das Pferd werde nun zuerst mit der Mischung Nr. 4 behandelt. Davon soll es zuerst ioccra; nach acht Tagen 20ccm. nach weiteren acht Tagen, falls wie zu erwarten, eine Fieberperiode inzwischen überwunden ist, wiederum 20ccm; den Rest nach weiteren drei Tagen subcutan erhalten. Die Mischung 3 werde dann in zwei Portionen ä 30ccra in achttägigen Intervallen injicirt. Die Mischung 2 in zwei Portionen ä 2occm. Von der Culturflüssigkeit ohne Jodtrichlorid beginne man mit o . 5 ccm, nachdem man sich vorher durch Blut- entnahme und Prüfung des Serums überzeugt hat, dass — 34 — dasselbe für Mäuse ein Immunisirungsvermögen von mindestens i : ioo hat, widrigenfalls beginne man mit o • 25 ccm. Von fünf zu fünf Tagen kann dann die Dosis der subcutanen Injection virulenter Cultur verdoppelt werden. Ich bin überzeugt, dass sich für den in diesen Ver- suchen Geübten das Immunisirungsverfahren noch er- heblich abkürzen lassen wird. Zur Erreichung aber einer gefahrlosen und dabei doch sicher zum Ziele führenden Vorbehandlung würde ich vorläufig dieses Schema als das beste für Pferde empfehlen. Bei Schafen, welche Thiere nicht so sehr für Teta- nus empfänglich sind wie Pferde, wird man wie bei Kaninchen auf verschiedene Weise zum Ziele gelangen. Bei meiner Methode kann das Tempo der Behandlung von Schafen erheblich schneller sein als beim Pferde. Mit zweimaliger Injection von ioccm o . 175 procent. JCI3 in fünftägigen Pausen kann man sofort zur Mi- schung 2 übergehen, die Behandlung mit der Injection von 5 ccm beginnen und in fünftägigen Pausen die Dosis verdoppeln, bis man zu 20 ccra gekommen ist. Fünf Tage darauf kann sofort 1 ccm virulenter Cultur ein- gespritzt und dann in fünftägigen Intervallen die Dosis jedesmal verdoppelt werden. — Sollte aber im Verlaufe der Behandlung zu der Zeit, wo eine neue Injection zu machen ist, Fieber (Temperatur über 40 • o°) oder kolik- artige Erkrankung und Meteorismus bestehen, so ist bis zum vollständigen Verschwinden dieser Symptome die Weiterbehandlung zu sistiren und nacher nicht die nach dem Schema zu wählende höhere, sondern die letztangewendete Dosis zu wählen. Dass man eine sinngemässe Abänderung dieses Schemas je nach dem Alter der Thiere und nach dem - 35 — Eintritt nicht vorauszuberechnender Zwischenfälle vor- zunehmen hat, brauche ich wohl nicht erst weiter aus- zuführen. Sehr zweckmässig ist es, dass man sich durch regel- mässige Blutentnahme und Prüfung der immunisirenden Wirkung des Serums an Mäusen in den verschiedenen Phasen der Behandlung von dem Fortschreiten des Immunisirungsprocesses Kenntniss verschafft. Bei un- seren ersten Versuchen haben wir diese Prüfungen regel- mässig dekadenweise vorgenommen. Nach diesem Recept, freilich mit manchen noth- wendig gewordenen Abänderungen, über die seiner Zeit Mittheilung gemacht werden wird, hat Herr Professor Schütz in der tierärztlichen Hochschule Pferde und Schafe dahin gebracht, dass diese Thiere von solchen Culturen, von denen 0,2 bis 0,5 ccm zur sicheren Tödtung von Controlpferden bezw. Con- trolschafen ausreichte, über 100 ccm vertragen, und dass bei einzelnen dieser Thiere der Immunisirungs- werth des aus ihrem Blute gewonnenen Serums 1 : 200000, ja bis zu 1 : 1 000000 beträgt. Was die letztere Zahl besagt, mag folgendes Beispiel zeigen: Setzen wir den Fall, dass für die Immunisirung eines Menschen gegen Tetanus die Verhältnisse ähnlich liegen wie für die Immunisirung von Mäu- sen, so würde für einen Menschen mit 50 kg Kör- pergewicht der 20. Theil eines Kubikcentimeters vom Tetanusheilserum ausreichen, um demselben _ 36 - Impfschutz zu verleihen, wenn ihm sofort nach einer absolut tödtlichen Tetanusinfection diese kleine Quan- tität Heilserum subcutan applicirt wird. Der 20. Theil eines Kubikcentimeters entspricht aber einem kleinen Tropfen. Wir stehen also vor der Möglichkeit, durch eine einfache Impfung mit Serum den Menschen gegen Tetanus zu schützen und nach einer sofort der Infection folgenden In- jection sogar ihn zu heilen. Ich glaube, dass ein solches Resultat durch die von anderen Autoren bis jetzt angewendeten Im- munisirungsverfahren bisher noch nicht erreicht ist. Das einzige Verfahren, welches nach Art der davon entworfenen Schilderung den Eindruck bei nicht sachverständigen Lesern hervorrufen könnte, dass es ebensoviel zu leisten im Stande ist als meine Immunisirungsmethode oder gar noch mehr, ist ein von Herrn Professor Brieger angegebenes und von Brieger, Kitasato und Wassermann be- schriebenes. Ich bin der Meinung, dass dieser Eindruck den Thatsachen nicht entspricht, und ich halte es für meine Pflicht, im Interesse der Sache meine Gründe anzugeben, aus welchen ich zu diesem Urtheil über das BRiEGER'sche Verfahren gelangt bin. Nachdem in einem »Nachtrag« der Herren Prof. Brieger und Dr. Wassermann in der Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten 1892, Bd. XII, - 37 — S. 254, der in der Arbeit von Brieger, Kitasato und Wassermann «Ueber Immunität und Giftfesti- gung»') angeführte Hammelimmunisirungsversuch als ein . solcher gekennzeichnet wird, dass er für die Fä- higkeit der BRiEGER'schen Methode, Schafe gegen Te- tanus zu immunisiren, nichts beweist; in Anbetracht des Umstandes ferner, dass in dieser Arbeit andere gelungene Immunisirungsversuche an grossen Thieren beim Tetanus, bei der Diphtherie und den anderen dort besprochenen Krankheiten nicht enthalten sind, möchte ich zunächst constatiren, dass Brieger, Ki- ta sato und Wassermann zur Zeit des Abschlusses ihrer Arbeit nicht in der Lage waren, über gelun- gene Immunisirungsversuche an grossen Thieren zu berichten. Da nun aber für die praktischen Ziele der Blut- serumtherapie ohne den Besitz grosser hochimmuner Thiere, welche die in Frage kommenden Heilkörper zur Behandlung des Tetanus, der Diphtherie und anderer Krankheiten liefern, vorläufig nichts anzu- fangen ist, so war für die Verfasser der Beweis noch erst anzutreten, dass die BRiEGER'sche Methode für die Zwecke der Blutserumtherapie praktische Brauchbarkeit besitzt. Seit dem Erscheinen der oben erwähnten Arbeit sind nun zwei grosse Thiere litterarisch bekannt ge- geben, welche diesen Beweis liefern sollen: ein in T) Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten. Band XII (1892) S. 155. - 38 - dem citirten »Nachtrag« erwähnter Hammel, und eine Ziege, über welche das Protocoll in der Ar- beit von Brieger und Ehrlich «Ueber die Ueber- tragung der Immunität durch Milch»1) Bericht er- stattet. Was das erstere Thier, den Hammel, betrifft, so kann auch dieser solange nicht als Beweis für die praktische Brauchbarkeit der BRiEGER'schen Me- thode angesehen werden, als nicht Genaueres über die Art der Immunisirung, über die Zeit, innerhalb welcher die Immunität erzielt wird und über den Grad, welchen dieselbe erreicht hat, bekannt ge- geben wird. So bleibt zur Beurtheilung der Leistungsfähigkeit von Brieger's Methode für die Zwecke der Heil- serumgewinnung bezw. der Gewinnung von Heil- körpern überhaupt nur noch der in der Arbeit von Briegek und Ehrlich publicirte Ziegenversuch übrig. Zunächst entnehme ich aus demselben, dass die Concentration der Tetanusheilsubstanz in der von den Verfassern untersuchten Lösung, nämlich in der Milch, am i. April 1892 noch nicht diejenige Höhe erreicht hatte, welche bei mehreren der von mir immunisirten Thiere zu Beginn dieses Jahres im Blut- serum nachzuweisen war; ferner dass an dem gleichen Tage, an welchem die immunisirende Leistungsfähigkeit der Ziegenmilch das Maximum betrug, ein von mir untersuchtes, von einem Pferde in der thierärzt- ') Deutsche medicinische Wochenschrift. 1892, No. 18. — 39 — liehen Hochschule stammendes Serum einen min- destens i oo mal grösseren Wirkungswerth erkennen Hess. Endlich entnehme ich aus diesem Ziegenversuch, dass zur Zeit des Abschlusses ihrer Publication die Verfasser noch keine Heilkörper von der Ziege be- kommen konnten, bei deren Anwendung auf tetanus- erkrankte Menschen eine speeifische Heilwirkung zu erwarten stände. Nach meinen Erfahrungen ist nämlich mit einer solchen Lösung der speeifischen Heilsubstanz in den Körperflüssigkeiten tetanusimmunisirter Thiere, welche einen geringeren Immunisirungswerth besitzt als i : 50 000, eine Z&zYwirkung in Tetanusfällen mit schlechter Prognose nicht zu hoffen. Ja selbst von einer Lösung mit einem Wirkungswerth von 1 : 200 000 fand ich bei einem tetanus er krankten Kinde noch so grosse Mengen bei subcutaner Injec- tion zur Heilung erforderlich, dass ich in Zukunft zur Behandlung des Menschen nur schwer mich entschliessen würde, wenn nicht der Immunisi- rungswerth der gelösten Heilsubstanz 1 : 1 000 000 beträgt. Bei einem solchen Immunisirungswerth braucht nämlich ein Mensch von 50 Kilo Körpergewicht bei vorgeschrittener Tetanus er krankung zu seiner Hei- lung immer noch mindestens soviel Injectionen, dass die gesammte injicirte Flüssigkeit in 2 Tagen 50 Kubikcentimeter ausmacht. — 40 — Nach alledem ist der Immunisir ungswerth der von Brieger und Ehrlich untersuchten Milch in der Höhe von i : 2400 nach meinen Erfahrungen auch annähernd nicht genügend, um damit tetanuskranke Menschen, die nicht an sich schon Aussicht zur Ge- nesung haben, vor dem Tetanustode zu schützen. Wenn demnach diejenigen Autoren, welche in Gemeinschaft mit Herrn Prof. Brieger Thiere zum Zweck der Gewinnung von Heilkörpern für die Be- handlung des Menschen immunisirt haben, auch für den Tetanus bisher de facto noch nicht den Beweis geliefert haben, dass sie zu einem für die Praxis brauchbaren Resultat gelangen können, so habe ich doch gar keinen Zweifel daran, dass mit Hilfe der- jenigen Methode, die Brieger und Ehrlich in ihrem Ziegenversuch zur Anwendung brachten, die Mög- lichkeit zur Erreichung dieses Zieles gegeben ist. Nur muss ich da dem Irrthum vorbeugen, als ob dabei dann dasjenige Moment eine Rolle spielen würde, welches Professor Brieger den schon bekannten Immu- nisirungsmethoden hinzugefügt hat-, ich meine die Zuhilfenahme des Extractes aus zellenreichen Organen und speciell der Thymusdrüsensubstanz. Ich behaupte nämlich, dass mit Hilfe der Brie- ger1 sehen Methode ein Thier nicht bis zu demjenigen Grade der Immunität gebracht werden kanny wel- cher erforderlich ist, wenn man das Blut oder ir- — 4i — gend welche andere dem immunisirten Körper ent- stammende Flüssigkeiten zu Heilzwecken für den Menschen brauchbar machen will; dass vielmehr dieses Resultat erst erreicht wird durch eine Be- handlungsmethode, welche ich zuerst systematisch ausgebildet habe, ttnd endlich, dass von dieser meiner Methode atcch Prof. Brieger und seine Mitarbeiter Gebrauch machen. Um den Beweis für diese meine Behauptungen anzutreten, muss ich etwas näher auf die Brie- GER'sche Methode eingehen. Dieselbe beruht nach der Erklärung in der Ar- beit von Brieger, Kitasato und Wassermann dar- auf, dass antitoxische chemisch wirkende Stoffe, welche aus zellenreichen Organen gesunder Thiere gewonnen sind, mit Culturen von solchen Bacterien gemischt werden, gegen welche die Immunität er- zielt werden soll; und dass man diese Mischungen den zu immunisirenden Thieren unter die Haut in allmählich steigender Dosis einspritzt. Diese Methode sieht der von mir seit längerer Zeit angewendeten Jodtrichloridmethode so ähnlich aus, dass der Anspruch auf Originalität nur in Bezug auf die Wahl der in Frage stehenden chemischen Körper geltend gemacht werden kann. Der Umstand, dass der von mir gewählte anti- toxische Körper , das Jodtrichlorid, käuflich zu haben ist, der von Brieger aber erst durch ein um- ständliches Verfahren hergestellt werden muss, — 42 — dürfte an sich kaum einen Vorzug bedingen und nur der Beweis einer grösseren Leistungsfähigkeit der von Brieger gewählten antitoxisch wirkenden Substanz würde derselben nach meiner Meinung den Vorrang vor dem Jodtrichlorid gewähren können. Nun sind aber beim Tetanus von Schafen Con- currenzv er suche zwischen Kitasato und mir angestellt worden, in denen ich zur Gift ab Schwächung behufs Immunisirung dieser Thiere das Jodtrichlorid, Herr Kitasato dagegen die Brieger sehe Substanz gewählt hatte, ttnter im Uebrigen geitatt den gleichen Be- dingungen. Herr Geheimrath Koch und Herr Professor Schütz haben von Anfang bis zu Ende diese Versuche mit verfolgt, und für tms alle herrschte gar kein Zweifel darüber, dass mein Ver- fahren viel sicherer und schneller zum Ziele führt, als das von Kitasato angewendete Brieger sehe. Bei der Diphtherie ferner sind die nach dem Brieger9 sehen Verfahren ausgeführten Immunisi- rungsv er suche im Ganzen resultatlos verlaufen, wäh- rend ich mit meiner Jodtrichloridmethode durchaus Zufriedenstellendes in Gemeinschaft mit Wernicke sowohl an kleinen T hieven wie an grossen erreicht habe. Wo also bis jetzt die Leistungsfähigkeit von Brieger's Methode und von meiner Jodtrichlorid- methode einer vergleichenden Prüfung unterzogen worden ist, da hat sich die letztere überlegen ge- zeigt. — 43 — Doch darauf möchte ich nicht gar zu viel Ge- wicht legen. Es ist ja denkbar, dass wenn im Laufe der Zeit Herr Professor Brieger seine Me- thode weiter ausarbeitet, dass dann dieselbe auch beim Tetanus und bei der Diphtherie eine Concur- renz mit meiner Jodtrichloridmethode aushält; und wenn aus anderen Gründen die Besonderheit, welche in der Abstammung der antitoxischen Substanzen aus dem Thierkörper besteht, als interessant und wichtig betont wird, so lässt sich auch dagegen nichts sagen. Die Gründe, deretwegen ich die Unzulänglich- keit der BRiEGER'schen Methode für praktische Zwecke behaupte, wenn zu derselben nicht eine von mir für den Tetanus neu eingeführte Behandlung hinzuge- nommen wird, sind ganz andere. Die Versuche von Prof. Brieger und seinen Mitar- beitern gelingen nämlich nur in dem Fall bis zu einem solchen Grade, dass die immunisirten Thiere immu- nit'dtv er leihendes und heilendes Blutserum, oder auch immunit'dlv er leihende und heilende Milch lie- fern, wenn die vor behandelten Thiere so stark wir- kende Culturen oder Gifte bekommen haben, dass an denselben unbehandelte ControltJiiere unfehlbar sterben, und wenn dann diese infectios bezw. to- xisch wirkenden Culturen immer hoher dosirt werden. Die Kenntniss dieser Thatsache aber hat in un- seren gemeinsamen- Versuchen in der t hier ärztlichen Hochschule Herr Kitasato erst durch mich erlangt j — 44 — und die Verwerthung dieser Kenntniss für die Er- langung hoher Immunitäts grade, welche in der Ar- beit von Brieger, Kitasato und Wassermann zu fin- den ist, hätte meines Erachtens nicht geschehen dürfen, ohne eine entprechende Angabe über die Herstammung derselben. In gewissem Grade trage ich freilich selbst daran die Schuld, dass dieses nicht geschehen ist; ich habe nämlich bisher nicht die theoretische und principielle Bedeutung betont, welche der Verwen- dung vollvirulenter und vollgiftiger Culturen für die Erlangung hoher Immunitätsgrade zukommt, son- dern mich in meinen bisherigen Publicationen auf eine einfache Registrirung der Thatsachen beschränkt ; so habe ich beispielsweise in meinem Vortrage auf dem VII. internationalen hygienischen Congress in London (17. August 1 891) bei meinem summarischen Bericht über Diphtherieimmunisirung einfach mitge- theilt, wie ich durch allmählich gesteigerte Injec- tionen von vollvirulenter Diphtheriecultur und star- ken Diphtheriegiftdosen ein Meerschweinchen dahin- gebracht habe, dass es eine mindestens 1 2 mal so starke Infection vertrug als Controlmeerschweinchen, ohne dass ich etwas über das Neue dieser Immu- nisirungsmethode sagte. Dass damit etwas principiell Neues den früher angewendeten Immunisirungsmethoden hinzugefügt worden ist, scheint in Folge meines Stillschweigens von den meisten Autoren übersehen oder nicht ver- — 45 — standen worden zu sein, und so halte ich es für zweckmässig, an dieser Stelle etwas näher auf diesen Punkt einzugehen. Das Wesentliche der von mir gegenwärtig an- gewendeten combinirten Immunisirungsmethode für die Zwecke der Heilserumgewinnung besteht nicht in der Abschwächung der Virulenz oder der Gift- wirkung von Tetanusculturen, Diphtherieculturen, Streptococcenculturen u. s. w. und in ihrer Umwand- lung zu sogenannten »vaccins« durch den Jodtri- chloridzusatz. Das bacterienabschwächende Moment nicht bloss,, sondern auch das giftabschwächende durch antitoxisch wirkende Substanzen ist thatsächlich schon in früheren Modifikationen der PASTKUi^schen Immunisirungs- methode enthalten gewesen, und für mich kann ich da höchstens das eine in Anspruch nehmen, dass ich als erster für die Immunisirung gegen Infections- krankheiten in zielbewusster Weise die antitoxische Wirkung chemischer Substanzen verwerthet und diese Wirkung als Erklärungsprinzip für das Zustande- kommen der Abschwächung von Bacterienculturen herangezogen habe. Das Wesentliche der von mir seit Jahr und Tag angewendeten combinirten Immunisirungs- methode besteht vielmehr in ihrem zweiten Theil, in der Verwendung vollvirulenter Culturen be- züglich vollgiftiger Filtrate derselben zur Er- - 46 - langung hoher und für meine praktischen Zwecke allein brauchbarer Immunitäten. Bis zum Erscheinen meiner diesbezüglichen Publi- cationen war immer bloss die Rede von »immun« und »nicht immun«, und die Unzulänglichkeit dieser Unterscheidungen wurde verdeckt durch Einführung des Begriffs der »relativen Immunität«. Weder in den Milzbrandimmunisirungsversuchen der PASTEUR'schen Schule, noch — soweit ich er- kennen kann — in späteren Arbeiten bis in die neueste Zeit war man sich der Thatsache bewusst geworden, dass für die Erlangung hoher Immunitäts- grade die Anwendung von sogenannten vaccnVs nicht genügt. Mir selbst wurde die Nothwendigkeit, für diesen Zweck unveränderte vollvirulente und hochgiftige Culturen zu gebrauchen, auch erst allmählich klar, nachdem ich immer mehr durch das Studium und den Verfolg der immunisirenden Blutwirkungen mich davon überzeugte, dass der Eintritt der Immunität nicht wie ein kritisches Ereigniss, sondern sehr all- mählich erfolgt. Diese Erkenntniss erlangte eine folgenschwere Bedeutung, denn auf Grund derselben kam ich schliesslich zu dem Resultat, dass der Grad der Immunität einer unbegrenzten Steigerung fähig ist. Soweit meine Kenntniss der einschlägigen Litte- ratur reicht, hat man sich früher die Frage, ob das Zustandekommen der Immunität etwa so aufzufassen ist, wie Ehrlich es zuerst präcisirte, nämlich als — 47 — kritisches Ereigniss, der Art, dass bis zu einem ge- wissen Tage oder einer bestimmten Stunde ein vor- behandeltes Individuum nicht immun, von da ab aber immun ist, oder ob etwa der Immunisirungsprocess ganz im Gegensatz dazu ein gleitender ist — kaum vorgelegt. Ich selbst habe unablässig bei meinen Immunitäts- studien die grösste Aufmerksamkeit dieser Frage zugewendet und kann jetzt auf Grund fast unzäh- liger Einzelbeobachtungen sagen, dass mir kein einziges Beispiel begegnet ist, in welchem ich einen kritischen Eintritt der Immunität bei Infections- krankheiten beobachtet hätte. Dagegen sind mir einige Fälle vorgekommen, wo sich der Immunisirungsprocess sprungweise vollzog. Die übergrosse Mehrzahl von Immunisirungen, zumal die an grossen Thieren, habe ich aber so leiten können, dass ein ganz allmähliches Fort- schreiten, gewissermaassen ein »Gleiten« im Zu- standekommen der Immunität resultirte. Gerade die letzteren Fälle sind es nun gewesen, die eine fundamentale Bedeutung für die Wahl meiner Immunisirungsmethode gewonnen haben, und die mich dazu bestimmten, die durch die Jodtri- chloridmethode auf einen gewissen geringeren Grad von Immunität gebrachten Thiere mit immer grösseren Culturmengen zu inficiren zum Zweck der Erreichung immer höherer Immunitätsgrade. - 48 - Die Vereinigung nun der vorbereitenden Jod- trichloridmethode mit der zielbewussten Anwendung vollvirulenter und vollgiftiger Bacterienculturen zum Zweck der Erlangung von früher nie erreichten Graden der Immunität mochte ich als meine Immu- nisir ungsmetho de bei der Diphtherie , beim Tetanus und bei Streptococcenkrankheiten bezeichnet wissen. Es wurden ja auch früher ab und an vollvirulente Culturen bei Immunisirungsversuchen angewendet,1) und es wäre geradezu wunderbar, wenn nicht ge- legentlich Jemand dabei die Beobachtung gemacht hätte, dass die etwa schon bestehende Immunität dadurch gesteigert werden kann. Vor meinen eigenen Publicationen finde ich aber nirgends eine Angabe darüber, dass irgend ein Autor, falls er eine solche Beobachtung gemacht hat, die- selbe weiterhin für den Zweck der Steigerung der Im- munität gegen Infectionskrankheiten systematisch verwerthet hat, Man wird in späterer Zeit, wenn diese meine Immunisirungsmethode allgemeine Anerkennung ge- funden haben wird, vielleicht fragen, wie es denn möglich gewesen sei, so fundamentale und praktisch überaus wichtige Thatsachen so lange zu vernach- lässigen. Da möchte ich hier schon mit meiner Meinung über die Ursache dieser in der That auffallenden Erscheinung nicht zurückhalten. ') vide: Anhang A. II. i (EMMERICH) in Schema I. — 49 - Ich führe dies »Nicht sehen können« oder »Nicht sehen wollen« auf die unglückliche Neigung zurück, viel zu viel zu theoretisiren und viel zu wenig zu experimentiren. Da spielt nun seit Bouchard^ Bemerkungen über die »secretions bacteriennes vaccinantes«, welche ge- mäss seiner Lehre mit den in Bacterienculturen ent- haltenen Giftstoffen nichts zu thun haben, bei vielen Autoren »die Theorie« oder »Hypothese« eine ver- hängnissvolle Rolle, dass das »toxische« und das »immunisirende« Princip ganz verschiedene Dinge seien. Wer nun diese Lehre für ein unumstössliches Dogma hält und dann alle möglichen und unmög- lichen anderen theoretischen Betrachtungen und Com Sequenzen aus demselben ableitet, der muss es ja geradezu für absurd halten, wenn Jemand, wie ich es thue, zum Zweck der Immunisirung gerade die giftigsten und virulentesten Stoffe aussucht. Zu diesen Dogmatikern gehören nun auch Prof. Brieger, Dr. Kitasato und Dr. Wassemann, wie aus folgenden Stellen ihrer Arbeit hervorgeht. Auf Seite 179 (Schlussbemerkungen) sagen die Autoren, nachdem sie von eingedampften und mit Alkohol gefällten Typhusbacillenculturen gesprochen, bezüglich der immunisirenden Wirkungen des Nieder- schlages : »Die Thierversuche mit dieser Substanz offen- barten uns aber bald, dass derselben noch ein hoher 5° Grad von Giftigkeit anhaftete. 0,02 gr davon tödteten Mäuse innerhalb 18 Stunden. Verabfolg- ten wir nun solche Gaben, dass die Thiere zwar krank wurden, sich aber alsdann völlig wieder er- holten, dann konnten wir die merkwürdige That- sache constatiren, dass die Mäuse sofort gegen eine nachfolgende sehr starke Typhusintoxication geschützt waren. Bei einer Reihe von Thieren war dieser Schutz schon nach 24 Stunden eingetreten, nach 48 Stunden war er bei Mäusen ausnahmslos vorhanden. « Man sollte glauben, dass diese Beobachtung einer eklatanten immunisirenden Wirkung durch nicht abgeschwächte Culturflüssigkeit, wie ich sie früher schon in genau derselben Weise für den Tetanus mitgetheilt hatte, nur mit dem Zusatz, dass bei dieser Krankheit nicht blos Giftimmunität, sondern gleichzeitig auch Bacillenimmunität durch eine solche Behandlung zu erreichen ist und durch weitere Infectionen bezw. Intoxicationen gesteigert werden kann — , den Verfassern den richtigen Weg gewiesen haben müsste. Aber das ist nicht der Fall. Dieselben sagen nämlich weiter: »Indessen ist dieses Verfahren noch zu ein- greifend, wie uns besondere Versuche an Meerschwein- chen lehrten, welche bei dieser Art der Vorbehand- lung ungemein leicht eingingen. Die Festigung er- fordert aber keineswegs, wie oben erläutert, eine vorhergehende stärkere Vergiftung. War es uns — 51 — doch gelungen, bei Cholera und bei Tetanus mit fast ungiftigen Modifikationen den stärksten Schutz zu erreichen. Diese Thatsache spricht aber zu Gunsten der Annahme, dass das toxische und das immunisi- rende Princip etwas gänzlich Verschiedenes sind.« Und dass es sich hier nicht blos um eine Annahme, sondern um ein wirkliches Dogma handelt, geht aus folgendem Satz (S. 162) hervor: »An unseren bei der Cholera und beim Tetanus gesammelten Erfahrungen glauben wir berechtigt zu sein, den Satz aufzustellen, dass toxisches und immunisirendes Princip zwei gänzlich verschiedene Dinge sind.« Ohne mich auf den Versuch an dieser Stelle einzulassen, dieses Dogma als den Thatsachen wider- sprechend mit Gründen zu bekämpfen, begnüge ich mich hier damit, zu constatiren, dass die Autoren von der Richtigkeit desselben fest überzeugt sind und füge blos noch hinzu, dass eine eigenthümliche Ironie darin liegt, wenn die Autoren trotz desselben ganz nach^^^r combinirtenMethode dielmmunisirung gegen den Tetanus, aufweichen sie exemplificiren, aus- führen und grosse Mengen vollvirulenter Tetanus - cultur den zu immunisirenden Thieren einspritzen. Prof. Brieger setzt sich ferner auch mit seiner eigenen Theorie in Widerspruch durch die Art und Weise, wie er in seinem (mit Prof. Ehrlich publi- cirten) Ziegenversuch die Immunisirung leitet. - 52 - Auf die Immunisirung gegen Tetanus und die Gewinnung des Heilserums habe ich mich mit meinen Mitarbeitern nicht beschränkt. Durch die Mithilfe von Dr. Knorr im Institut für Infectionskrankheiten ist es gelungen, einiges wesentlich Neue über die Eigenschaften der Tetanus - heilkorper zu erfahren. Abgesehen von der Feststellung einer ganz un- geahnten Widerstandsfähigkeit derselben gegen phy- sikalische, chemische und atmosphärische Einflüsse beansprucht vor Allem die Thatsache das grösste Interesse, dass die Heilkörper bei der Dialyse des Serums in das Dialysat übergehen, und dass sie in demselben die charakteristischen Eiweissreactionen durchaus vermissen lassen. Durch die Constatirung dieser Thatsache tritt das Studium des Tetanusheilserums in eine ganz neue Phase, und wir können noch gar nicht über- sehen, zu welchen wissenschaftlichen Endergebnissen wir dabei geführt werden. Aber ich möchte doch dem vorbeugen, dass für die nächste Zukunft schon hieran Hoffnungen bezüg- lich der Verwerthung isolirter Heilkörper zur Behand- lung des Menschen geknüpft werden. Nach meiner Erfahrung werden wir noch lange Zeit auf die Anwendung des unveränderten Serums angewiesen sein, und unser Hauptaugenmerk wird sich nur darauf zu richten haben, dass wir das Heil- Serum zu einem absolut ungeeigneten Nährboden — 53 — für Bacterien machen, so dass jede Gefahr einer entzündlichen oder eitererregenden Wirkung bei der subcutanen Injection vermieden wird. Auch ein ganz sicher steriles Serum schützt gegen diese Gefahr nicht-, von der Haut aus können durch den Injectionsstich Mikroorganismen in das subcutane Gewebe hineingelangen und dort Ab- scesse hervorrufen. Wir haben es jedoch in der Hand, mit abso- luter Sicherheit direkte und indirekte entzündliche Reactionen in Folge der Seruminjectionen auszu- schliessen, wenn wir dieselben mit 0,5 proc. Car- bolsäuregehalt verabfolgen. Zukünftig gebe ich überhaupt kein anderes als solch' ein carbolsäure- haltiges Serum, wenn ich dazu in die Lage kommen sollte, für die Behandlung des Menschen ab. Zum Schluss möchte ich noch einige Worte über das Diphtherieheilserum sagen. Wernicke und ich haben in Untersuchungen, bei denen gegenwärtig auch Herr Sanitätsrath Boer be- theiligt ist, das Studium der Diphtherieheilkörper vertieft. Nachdem wir dieselben jetzt aus dem Blute un- serer diphtherieimmunen Schafe in mindestens 20 mal stärkerer Concentration gewinnen, als diejenige war, über welche wir in der Arbeit « Ueber Immunisirung und Heilung von Versuchsthieren bei der Diphthe- rie» berichteten, haben wir in unzweifelhafter Weise uns überzeugen können, dass auch Thiere mit weit — 54 ~ vorgeschrittener Diphtherieinfection noch geheilt werden können. Wir haben die Haltbarkeit der Heilkörper bei der Aufbewahrung bis zu 8 monat- licher Dauer constatirt und gesehen, dass selbst durch Bacterienvegationen mit Entwickelung stinken- der Producte im Heilserum die Heilkörper nicht zer- stört werden. Aber wir haben auch erkennen müssen, dass es Jahre langer Vorbehandlung der Schafe bedürfen wird, um den Immunisirungswerth ihres Blutserums gegenüber Diphtherie auf diejenige Höhe zu bringen, welche wir am Tetanusheilserum vorbehandelter Pferde in wenigen Monaten erreichen. Das hat notwendigerweise zur Folge, dass wir sparsam mit unserem Diphtherieheilserum umgehen und von demselben für die Behandlung des Men- schen nur soviel abgeben, als uns zur Constatirung der Leistungsfähigkeit des Heilserums auch für die Diphtherie des Menschen nothwendig scheint. Dar- über hinauszugehen, würden wir — so lange wir nicht die Garantie bekommen, dass das verbrauchte Material durch Immunisirung von anderen Thieren ersetzt wird — im Interesse der Sache für schäd- lich halten. Das Interesse der Sache, wie ich es verstehe, erfordert eine weitgehende experimentelle Ausarbei- tung des neuen Heilverfahrens vor seiner allge- meinen Uebertragung auf den Menschen. Ich ver- trete da in Bezug auf die Diphtherie dieselben - 55 — Grundsätze, welche ich an anderer Stelle (in Gemein- schaft mit Frank) in Bezug auf den Tetanus mit folgenden Worten ausgesprochen habe: »Man kann mannigfache Gründe für die Behand- lung einer so schrecklichen Krankheit, wie des Wundstarrkrampfes, anführen, selbst wenn die ex- perimentelle Begründung des Heilverfahrens nicht nach allen Richtungen erbracht worden ist. Ein solches Vorgehen hat jedoch eine sehr grosse Gefahr. Es kann vorkommen, und, wie wir glauben, es wird ganz gewiss vorkommen, dass das Mittel versagt. Den anfänglichen Hoffnungen und dem ersten Enthusiasmus folgt dann die Enttäu- schung und der Skepticismus, und das an sich be- rechtigte Verfahren geräth in unverdienten Misscredit. Wir gedenken aus diesem Grunde die experi- mentelle Begründung unserer Heilmethode soweit auszudehnen, dass die Anwendung derselben auf den Menschen aztf eine ganz sichere Basis gestellt ist.« Für eine solche experimentelle Begründung des Diphtherieheilverfahrens wollen Wernicke und ich hauptsächlich unser Diphtherieheilserum anwenden; und der zu leistenden Arbeit giebt's noch so viel, dass wir vermuthlich erst in längerer Zeit am End- ziel unserer Bestrebungen anlangen werden. Nun könnte man sagen: »Dann ist ja der Appell am Schluss des ersten Theils dieser Arbeit an weitere Kreise, die Inangriffnahme der Diphtherieimmunisirung von grossen Thieren in erweitertem Maassstabe zu - 56 - ermöglichen, verfrüht. Zeigt erst, dass Ihr den Men- schen sicher heilen könnt, dann kommt das Uebrige von selbst, dann werden auch die Mittel zu weiteren Arbeiten nicht fehlen.« Bis zu einem gewissen Grade ist das richtig. Ich glaube aber doch nicht unterlassen zu dürfen, auf die Consequenzen einer solchen Argumentation hinzuweisen. Wie schon erwähnt, vergehen voraussichtlich auch später Jahre, ehe die Diphtherieimmunisirung ein und desselben Thieres uns ein solches Heilserum liefert, dessen Anwendung für praktische Zwecke allen unseren Anforderungen Genüge leistet. Wenn nun mit dem Beginn der Inangriffnahme der Versuche im Grossen gewartet wird, bis Wernicke und ich sagen, jetzt können wir die Diphtherie des Menschen ganz sicher heilen (da wir vorsichtige Leute sind, kann das noch recht lange dauern); ioo und mehr hintereinander geheilte Fälle liefern den Beweis dafür, — dann stehen wir vor der Situation, dass wir wissen, es giebt ein specinsches Heilmittel gegen die Diphtherie des Menschen, wir haben es bloss nicht und können es auch im günstigsten Fall — unsere dauernde Arbeitsfähigkeit und Arbeits- freudigkeit vorausgesetzt — erst in einigen Jahren bekommen. Da fragt es sich denn doch, ob es nicht besser ist, jetzt schon anzufangen. 57 Quellen-Angabe betreffend die Originalarbeiten, welche auf meine Blutserumtherapie Bezug haben. i. Ueber das Zustandekommen der Diphtherie-Immunität und der Tetanus-Immunität bei Thieren. Von Behring und Kitasato. Deutsche medicinische Wochenschrift 1890, No. 49. 2. Untersuchungen über das Zustandekommen der Diph- therie-Immunität bei Thieren. Von Behring. Deutsche medicinische Wochenschrift 1890, No. 50. 3. Ueber Desinfection, Desinfectionsmittel und Desin- fectionsmethoden. Abschnitt VII. Von Behring. Zeitschrift für Hygiene, Band IX. 4. Ueber die Behandlung diphtherieinficirter Meer- schweinchen mit chemischen Präparaten. Von Sanitätsrath O. BOER. 5. Zur Immunitätsfrage. Von Behring. Deutsche medicinische Wochenschrift 1891, No. 19. 6. Ueber Desinfection am lebenden Organismus. Von Behring. Deutsche medicinische Wochenschrift 1891, No. 51. - 58- 7. Ueber Immunisirung und Heilung von Versuchs- thieren bei Diphtherie. Von Behring und Wernicke. Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten 1892, Bd. XL 8. Ueber Immunisirung und Heilung von Versuchs- thieren beim Tetanus. Von Behring. Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten 1892, Bd. XI. 9. Versuche zur Immunisirung von Pferden und Schafen gegen Tetanus. Von Prof. Schütz. Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten 1891, Bd. XI. 10. Einleitung zu den Arbeiten ad 7, 8 und 9. Von Behring. Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten 1891, Bd. XI. 1 1 . Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Be- kämpfung der Infectionskrankheiten. „Ueber einige Eigenschaften des Tetanus-Heilserums". Von Behring und Frank. Deutsche medicinische Wochenschrift 1892, No. 16. 12. Die Prioritätsansprüche des Herrn Prof. Dr. Emmerich (München) in Fragen der Blutserumtherapie. Von Behring. Centralblatt für Bacteriologie 1892, No. 13. Ergebnisse von Untersuchungen über Streptococcen- krankheiten. Von Behring. Centralblatt für Bacteriologie 1892, No. 59 Anhang. — 6o — Schema I. Immunisirungsmethoden geget A. Immunisirung mit Hilfe derselben krankmachen 1 1 L Abschwächungsmethode (Pasteur'sche Mette 1) Immunisirung durch abgeschwächte Ci t 2) Immunisirung durch abgeschwächte Gi In beiden Fällen (I, i und I, 2) hat man d a. Abschwächung durch höhere Tempe^ b. Abschwächung' durch niedere Temp< c. Abschwächung1 durch chemisch wir]* d. Abschwächung durch atmosphärisch IL Verdünnungsmethode (beschränkte Anwendbark; 1) vollvirulenten Culturen, 2) vollgiftigen Culturflüssigkeiten. III. Combinirte Methode (Behring), (allgemeine Ar Hilfe der Abschwächungsmethode und der darauf Zweck der Erreichung sehr hoher Immunitätsgrad B. Immunisirung mit Hilfe von krankmachenden Sto i die Immunität erreicht werden soll. I. Anwendung von lebenden Bacterienculturen J in denselben enthalten sind. II. Anwendung von chemischen Präparaten. C. Immunisirung durch directe Uebertragung der imm 6i 3er den Infectionskrankheiten. toffe, gegen welche die Immunität erreicht werden soll. ; (VaCCination) (allgemein anwendbar). 3n mit lebenden Bacterien. ihl zwischen verschiedenen Arten der abschwächenden Mittel. »grade; rgrade; 3 Agentien; lflüsse, insbesondere Insolation. »esteht in der Anwendung von Ibarkeit) besteht in der vorbereitenden Immunisirung mit mden Anwendung vollvirulenter und vollgiftiger Culturen zum von anderer Art, als diejenigen sind, gegen welche von specifisch wirksamen chemischen Stoffen, welche ätverleihenden Agentien (Behring, Blutserumtherapie). — 62 — Nach diesem Schema gehört meine Jodtrichlorid- methode, eine Unterart der PASTEUR'schen Methode, in die Gruppe A. I. c. Was die Verdünnungsmethode betrifft, so finde ich ausser der von mir nachgewiesenen Möglichkeit, mit Hilfe derselben Kaninchen und Schafe gegen Tetanus zu immunisiren, in der Litteratur ein beglaubigtes Bei- spiel in der Arbeit von EMMERICH und MASTBAUM: „Die Ursache der Immunität, die Heilung von Infections- krankheiten, speciell des Rothlaufs der Schweine und ein neues Schutzimpfungsverfahren gegen diese Krank- heit." Arch. für Hygiene 1891. EMMERICH beweist in dieser Arbeit, dass Kaninchen gegen die bei diesen Thieren durch Schweinerothlauf- baciflen 'erzeugte Krankheit mit vollvirulenter Cultur immunisirt werden können. (A. IL 1.) Die Immunisirungsmöglichkeit mit voll giftiger Culturflüssigkeit habe ich zuerst gezeigt, bei Kaninchen, die gegen Tetanus immunisirt wurden. (A. II. 2.) Meine combinirte Methode habe ich mit Erfolg bisher angewendet bei der Diphtherieimmunisirung von Meerschweinchen und Schafen (BEHRING und Wer- NICKE); bei der Tetanusimmunisirung von Mäusen, Kaninchen, Schafen und Pferden (BEHRING und Schütz) ; KNORR hat diese meine Methode übertragen auf die Im- munisirung gegen Krankheiten, die durch den Strepto- coccus longus erzeugt werden; BOER auf eine durch den Streptococcus brevis (Kurth) bei Kaninchen erzeugte Krankheit. (A. III.) Die Immunisirungsversuche mit Hilfe von krank- machenden Stoffen von anderer Art, als diejenigen sind, gegen welche die Immunität erreicht werden soll, haben - 63 _ bei Infectionskrankheiten bis jetzt zu brauchbaren Resultaten nicht geführt. In Bezug auf diejenige Unterart dieser Immuni- sirungsmethode, welche mit Bacterienculturen , oder specifisch- wirksamen chemischen Stoffen aus denselben, arbeitet, liegen zwar eine Reihe von positiven Angaben in der Fachlitteratur vor; ich halte aber diese Angaben noch nicht für genügend beglaubigt. (B. I.) Von chemischen Präparaten glaube ich den Nach- weis am Wasserstoffsuperoxyd geliefert zu haben, dass man mit Hilfe desselben den Meerschweinchen und Kaninchen einen gewissen Grad von Immunität gegen- über der Diphtherie verschaffen kann. (B. II.) Zwischen der Immunität, welche durch die ad A. und B. gehörenden Methoden erfolgt und zwischen der durch Heilserum erzeugten Immunität besteht der wichtige Unterschied, dass die erstere reactiv (indirekt) eintritt, die letztere direkt durch die immunitätver- leihenden Körper zu Stande gebracht wird. Was dann den Mechanismus des Zustandekommens der Immunität, durch welche Methode sie auch immer erzeugt sein mag, betrifft, so habe ich dafür in meinem Londoner Congressvortrag ein Schema mitgetheilt, welches mir gleichfalls bisher stets ausgereicht hat, um in dasselbe alle Einzelfälle einzurubriciren. -64 Schema II. Wirkungsweise der immunitätver- leihenden Agentien. 1) Durch die Abtödtung der lebenden Krank- heitserreger. 2) Durch die Wachsthumsverhinderung der- selben. 3) Durch die Aufhebung ihrer infectiösen Eigenschaften, welche ich mir dadurch zu Stande kommend denke, dass den krank- machenden Bacterien die Fähigkeit ge- nommen wird, giftige Stoffwechselproducte zu liefern. 4) Durch die Zerstörung, bezw. das Unschäd- lichmachen der von den Krankheitser- regern im inficirten Organismus producir- ten giftigen Stoffe. 5) Durch eine derartige Veränderung der Centralorgane oder der lebenden Zellen, dass daraus eine höhere Widerstandsfähig- keit derselben gegen die von den Bacterien erzeugten Nervengifte und Zellgifte re- sultirt. -65- Man kann demnach für die Darstellung der Immuni- tätslehre zwei verschiedene Eintheilungsprincipien wählen. Ausgehend von der experimentell zu erzeugenden Immunität kann man durch die Aufzählung der Immunisi- rungsmethoden das thatsächliche Material nach einem ein- heitlichen Gesichtspunkt anordnen und auf diese Weise gewissermassen eine Phaenomenologie der Immunitäts- lehre schreiben. Ich selbst würde dabei mein erstes Schema der Beschreibung zu Grunde legen. Man kann aber auch ausgehen von der Ursache des Immunseins, oder wie man sich ausdrücken kann, von dem Wesen der Immunität. Nach meinem Dafürhalten ist die WTahl dieses zweiten Eintheilungsprincips durch- aus verfrüht, solange als uns von der Natur der wesent- lichen Ursache der Immunität noch nicht Genügendes bekannt ist; solange als das nicht der Fall ist, wird auch jede Immunitätstheorie der Gefahr ausgesetzt sein, durch die Constatirung neuer Thatsachen in der Immuni- tätslehre unbrauchbar zu werden. Indessen es hat wohl jeder, der sich eingehend mit Immunitätsfragen beschäftigt, das Bedürfniss, sieh wenigstens die Möglichkeiten der für das Immunsein in Betracht kommenden Ursachen klar zu machen. Mit Bezug hierauf habe ich ein drittes Schema aufgestellt, in welches man die Einzelfälle einfügen kann. — 66 Schema III. Ursachen für das Immunsein. A. Ein passiver Zustand des Organismus (Erschöpfungstheorie und die Theorie vom ungünstigen Nährboden) ; B. Eine functionelle Eigenschaft des Orga- nismus, und zwar: I. Eine Function lebender Theile des Organismus (Kampftheorie). IL Eine Function lebloser Theile des Organismus. Die ad A. gehörigen Theorien dürfen gegenwärtig als endgiltig beseitigt angesehen werden. Bezüglich der Theorien ad B., welche auf eine vitale Thätigkeit recurriren (B. L), bin ich der Meinung, dass dieselben in das Gebiet metaphysischer Speculation über- greifen, und dieselben entziehen sich aus diesem Grunde meiner Beurtheilung vom experimentell-wissenschaftlichen Standpunkte aus. Meine eigenen Untersuchungen beziehen sich aus- schliesslich auf die Action unbelebter Agentien im Or- ganismus (B. II); den Wirkungsmodus derselben kann ich mir aber in der im Schema II angegebenen 5fachen Weise vorstellen. Experimentell nachgewiesen ist bisher, als thatsächlich vorkommend, nur das Zustandekommen der Immunität durch die Wirkung solcher greifbaren Agen- tien, welche die von den Krankheitserregern producirten Gifte unschädlich machen, also der Fall B. IL 4. Gedruckt bei Julius Sitteufeld iu Berlin \V. DATE DUE SLIP UNTVERSITY OP CALIFORNIA MEDICAL SCHOOL LIBRARY THIS BOOK IS I>UE ON THE LAST DATE STAMPED BELOW RM741 Beh B42 D 1892 d ring, I.A. v. 13ö80 ie praktischen Ziele bt RlutserumthePfiDie (Behring. Die Blut- s srumtherap: Le. 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